Predigt zum Parallel-Gottesdienst Dagai - Freiburg vom 15. März 2009
Von Edgar Lüllau, Karlsruhe
Dreimal läuten die Dagaier Glocken und laden zum Gottesdienst ein. Spätestens beim dritten Läuten sollten sich auch die Christen aus den nahen Gehöften auf den Weg machen. Vielleicht singen jetzt in Dagai noch die Chöre, die Frauen oder die Jugend. Oder es liest schon einer der Pastoren im Ruhestand, Matthieu oder Gadji oder Abraham den Bibeltext, über den der junge Pastor gleich predigen wird.
Dass sich aus den gewiss kleinen Anfängen der Verbindung Dagai zu Freiburg vor 25 Jahren ein so langer und so intensiver Kontakt, ja eine Partnerschaft entwickeln konnte, dass wir einen Parallel-Gottesdienst feiern mit demselben Bibeltext und mit den Gebetsanliegen aus Dagai hier und aus Freiburg dort, das hatten wir damals nicht ahnen können, dafür sind wir Gott und der ganzen Gemeinde Freiburg von Herzen dankbar. Die Bilder zur Predigt hat der Dagaier Künstler Saidou Goni 1990 / 2000 und 2003 gemalt.
Blätter oder Früchte? - haakooji malla bendalooje?
Einen Bibeltext hat sich Dagai da ausgesucht, der ganz und gar in ihre Landschaft des Sahel Nord Kameruns passt. Bäume, Blätter, Früchte: Ohne gesunde Bäume, die gute Früchte für Mensch und Vieh tragen, gibt es kein Überleben im heißen Sahel Nord Kameruns mit einer 7-bis 8monatigen Trockenzeit und einer kurzen Regenzeit von Juni bis September. Zugleich ist es ein Bibeltext, der in die Situation der christlichen Gemeinde in Dagai sprechen kann und soll. Sie bitten uns für sie zu beten: Bitte um Erneuerung der Gemeinde Dagai, da es schon lange keine Veränderung mehr gegeben hat.
In Dagai wird man für Freiburg beten: Bitte betet für unsere Gemeinde, dass wir intensiver hören auf das, was Gott mit uns vorhat und wir Wegweisungen und Ziele erkennen.
Das Bild vom Feigenbaum führt uns hin zum Bibeltext: Ein schöner, großer, uralter Feigenbaum in Dagai. Ganz in der Nähe der Gehöfte spendet er Schatten durch sein dichtes grünes Laubwerk. Auf dem Felsen unter dem Baum kann man am Abend nach der Arbeit auf den Feldern ruhen. Hier auf den Felsen unter dem Baum können die Frauen manche Arbeit verrichten, Körner reiben, Hirse, Gemüse (haako) trocknen usw. Als Treffpunkt der Leute bietet sich der Baum an. Hier können Junge oder Alte mit ihren Spielen im Sand sich entspannen, miteinander reden. Es ist ein Ort der Abkühlung und der Gemeinschaft, während oben in den Bäumen die Vögel des Himmels einen Platz finden. Und nicht zuletzt: Menschen und Vögel finden hier Früchte viele Monate des Jahres.
Hier spielt sich nun diese Geschichte Jesu ab. In Dagai kann man sich diese Jesusgeschichte also richtig vorstellen, so als wäre er in ihrer Mitte.
Es ist Passionszeit. Wir lesen Bibeltexte von Jesus auf seinem letzten Weg nach Jerusalem. Jesus wohnt im Dorf Betanien außerhalb der Stadt und tagsüber geht er zur Predigt nach Jerusalem in den Tempel. Dort erlebt Jesus die entscheidende Auseinandersetzung mit den geistlichen Autoritäten, hier wird es zum endgültigen Konflikt kommen, der zur Gefangennahme, Folter und Kreuzestod führt. Tod Jesu am Kreuz: Geheimnis der Erlösung.
Auf dem Weg zwischen Betanien und Jerusalem steht dieser alte Feigenbaum. Am Morgen und am Abend kommen Jesus und seine Jünger hier vorbei. Hört, was hier passierte. Eine ungewöhnliche Geschichte, die viele Fragen aufwirft.
Wir lesen: Markus 11, 12-14. Hildegard liest den Text auf fulfulde, ich lese ihn nach der Übersetzung „Die gute Nachricht“. Übrigens: beide Übersetzungen stammen von dem ersten Missionar in Dagai, Rudolf Kassühlke (1955 bis 1965 in Kamerun).
Jango maajum nde be ngurti Baytaniya, Yeesu don nana weelo.
Am nächsten Morgen, als sie wieder von Betanien kamen, hatte Jesus Hunger.
O eewi ibbi bee haakooji duuddi, yehi ngam o laara to ibbe don haa maaki.
Da sah er in einiger Entfernung einen Feigenbaum stehen, der schon Blätter trug. Er ging hin, um zu sehen, ob Früchte an ihm wären.
Ammaa nde o yotti ki, o tawi sey haakooji tan, ngam naa dum saa‘i ibbe.
Aber er fand nichts als Blätter, denn es war nicht die Jahreszeit für Feigen.
Yeesu wi‘i ki: “Taa goddo meeta nyaamugo ibbe haa maada, haa foroy!“
Da sagte Jesus zu dem Feigenbaum: ”Von dir soll nie mehr jemand Feigen essen!“
Pukara‘en maako nani.
Die Jünger hörten es.
Der Text verblüfft. Normalerweise spricht Jesus zu den Menschen. Hier aber spricht Jesus zu einem Baum. Die Jünger hören nur die „Unterhaltung“, wenn man die Rede Jesu zu einem Baum so nennen darf. Ein Baum hat keine Chance zu antworten. Was also hat Jesus beabsichtigt? Mit wem redet er wirklich? Es klingt auch eher wie eine Zeichenhandlung statt eines Dialoges. So traten früher auch die Propheten Israels auf.
Setzen wir uns also unter diesen Feigenbaum und denken über das Gehörte nach. Fragen wir Jesus, so als wäre er unter uns, was er uns, Gemeinde Freiburg, Gemeinde Dagai, heute damit sagen will.
Ein solch großer Feigenbaum ist wirklich ein wunderbarer, schöner Ort. Ein jedes Dorf sollte einen solchen Ort besitzen, unter dem man sich in Ruhe versammeln kann, miteinander reden kann. Ein jedes Dorf sollte einen solchen Ort haben, an dem Jesus zu den Menschen reden kann.
Und das ist die Eröffnung der Szene: Jesus und seine Jünger machen sich an jedem frühen Morgen auf den Weg von dem sicheren Betanien in das unsichere Jerusalem. Dort wird er predigen, sich der Auseinandersetzung um seine Botschaft und seine Person stellen, und am Abend wieder nach Betanien zurück wandern, um dort sicher schlafen zu können.
Am frühen Morgen also machen sie sich auf den „Weg zur Arbeit“. Sie haben noch nicht gefrühstückt, als sie aus dem Hause gingen. In Dagai kennt man das, wenn man frühmorgens auf das Feld geht, bei uns ist das in der Regel nicht so üblich. Jesus hat Hunger am frühen Morgen. Das versteht nun jeder. Da sieht er in der Ferne auf dem Weg einen großen Feigenbaum, der schon Blätter trug. Er freut sich. Er eilt darauf zu in der Hoffnung, dass nicht nur Blätter an ihm sind, sondern noch einige der Winterfeigen in ihm verborgen sind, die seinen, ihren Hunger stillen könnten.
In der Tat, die Kommentare zur Geschichte sagen mir, es gab auch im Frühjahr noch Winterfeigen, manchmal auch schon unreife Feigen, die in dieser Zeit gerne gegessen wurden. Also das zielstrebige Ausschauhalten nach Früchten ist ganz realistisch. Jetzt „nur Blätter“ finden ist nicht nur enttäuschend, ein solcher Feigenbaum ist wirklich unnütz, entspricht nicht dem dringenden Bedarf des Menschen, der hier am Morgen vorbei kommt.
Ein solcher Feigenbaum ist natürlich ein „öffentlicher Ort“. Er ist in keinem Privatbesitz, sondern zugänglich für alle. Hier kann in der Tat jeder hingehen und Frchte suchen, sich ausruhen, Freunde treffen, mit Bekannten sich verabreden, neue, nette Leute kennen lernen usw. Ein solcher Ort unter dem Feigenbaum gehört auch keiner Familie allein, die allen anderen sagen könnte, hier bestimmen wir allein, was passieren darf. Ein solcher Ort ist keiner Gruppe von Menschen vorbehalten, die mit ihren eigenen Regeln alle anderen ausschließt.
Jesus wird von diesem Baum enttäuscht. Hungrig muss er mit seinen Jüngern weiterziehen. Und dann kommt die ‚Zeichenhandlung’, sein eigenartiges Reden mit dem Baum, als wäre der ein Mensch, der einem anderen zu nichts Gutem dienlich ist; als wäre der Baum eine Gemeinschaft von Menschen, die einer nach Nahrung hungrigen Welt, nichts zur Stärkung auf ihrem Weg anzubieten hat.
So erklärt mir Jesus dieses Ereignis am Morgen auf dem Weg von Betanien nach Jerusalem. Ja, sage ich zu Jesus, jetzt verstehe ich besser, ich ahne was Du mir, uns als Gemeinde sagen willst. Deine Geschichte, Jesus, hat ja noch eine kleine Fortsetzung. An diesem Morgen warst Du „ganz außer dich“ so könnte man sagen, wenn ich lese, wie Du im Tempel die Tische der Geldwechsler und Händler umstößt, sie aus dem Tempel Gottes vertreibst. Hast Du da nicht deinen Vater im Himmel zitiert: „Mein Tempel soll eine Stätte sein, an der alle Völker zu mir beten können!“ Am Abend geht Ihr wieder nach Betanien zum sicheren Schlafen zurück. Als Ihr dann am nächsten Morgen wieder eure Tour in die Hauptstadt macht, kommt Ihr an diesem Feigenbaum vorbei. Eine ganz kurze Notiz bemerkt: „Er war bis in die Wurzel abgestorben!“ Und es beginnt ein Gespräch über Gebet und Glauben.
Jesus, so frage ich erschrocken, sagst du damit einer Gemeinde, die den nach Nahrung hungrigen Menschen heute nichts Stärkendes, Belebendes anzubieten hat, das sie vernichtende Gericht Gottes an?
Einen Augenblick ist es still. Ich denke nach, warte auf Antwort. Jesus, so dringe ich in ihn, ist Deine Botschaft die gleiche wie Johannes der Täufer, der schon die Axt an den zu fällenden Bäumen sah? „Jeder Baum, der keine guten Früchte bringt, wird umgehauen und ins Feuer geworfen?“ So sagte es doch Johannes, ist es das, was Du meinst?
Jesus aber verweist mich auf die Gesamtheit seiner Worte: eine Zeichenhandlung allein ist noch nicht die ganze frohe Botschaft, ist für sich alleine noch nicht Evangelium. Und Jesus erzählt mir das folgende Gleichnis (Lukas 13):
„Dann erzählte ihnen Jesus folgendes Gleichnis. Ein Mann hatte in seinem Weinberg einen Feigenbaum gepflanzt. Er kam und suchte Früchte an ihm und fand keine. Da sagte er zu seinem Weingärtner: 'Hör zu: Drei Jahre sind es nun schon, dass ich herkomme und an diesem Feigenbaum nach Früchten suche und keine finde. Also hau ihn um, was soll er für nichts und wieder nichts den Boden aussaugen!' Aber der Weingärtner sagte: 'Herr, lass ihn doch dieses Jahr noch stehen! Ich will den Boden rundherum gut auflockern und düngen. Vielleicht trägt der Baum dann im nächsten Jahr Früchte. Wenn nicht, dann lass ihn umhauen!'«
Ja, sagt Jesus, es ist ernst. Der Feigenbaum gleicht meiner Gemeinde, die der nach Nahrung hungrigen Welt gute Früchte zur Stärkung anzubieten hat. Anders aber als der Täufer erhebe ich Einspruch: Nicht umhauen! Ich will noch einmal alles mir Mögliche für meinen Baum tun: umgraben, düngen, damit der Feigenbaum, meine Gemeinde, Frucht bringt, den Menschen Gutes im Namen Gottes anzubieten hat. Und später tut Jesus auch wirklich alles was er kann und hat, er gibt sein Leben für seine Gemeinde, für die ganze Welt!
Der Feigenbaum, Bild der ‚Gemeinde für die Welt’. Die Gemeinde ist kein geschlossener Verein, sondern ein offener, einladender Ort für alle Menschen. Auf ihrem Weg durch das Leben, können sich die Menschen hier ausruhen und sich stärken. Hier können sie entlastet werden von ihren Lasten und Schulden; hier können sie heil werden von ihren Wunden; hier können sie Orientierung für ihren Lebensweg finden; hier können sie Ruhe finden mitten im Lärm der Welt; hier können sie Gott begegnen und heil werden an Leib und Seele. Die Gemeinde Jesu gleicht diesem Feigenbaum, sie ist kein geschlossener Verein umgeben mit hohen Mauern, sondern ein offener Ort der Begegnung mit Gott und den Menschen.
Seht, so saßen wir heute Morgen mit Jesus unter dem Feigenbaum und haben ihm zugehört, was er uns, seine Gemeinde, sagen will.
Seht, wie sehr Jesus die Menschen, die Welt liebt, dass er mit seinem ganzen Eifer und Einsatz für sie sorgt, damit die Menschen einen Ort auf der Erde haben, an dem sie ganz umsonst, ohne Verdienst Versöhnung mit Gott empfangen, um so gestärkt Versöhnung mit ihrem eigenen Lebensweg erlernen und Frieden und Versöhnung zu ihren Nächsten und in die Welt tragen.
Seht, so sehr liebt Jesus seine Gemeinde, dass er nicht wie Johannes der Täufer die Axt über uns schwingt, sondern alles ihm Mögliche tut, damit wir gute Früchte den Menschen geben können, weil sie alle als Ebenbild Gottes geliebt sind.
Jetzt können wir füreinander beten in Dagai, in Freiburg, für die Erneuerung unserer Gemeinschaft, für klare Wegweisung und neuen Glauben, damit wir ein ‚guter Feigenbaum’ werden für unsere Welt.
Danach können wir gestärkt weiterziehen, wieder an unsere Arbeit gehen, in unser Leben gehen, denn unser Gott geht mit uns.
Amen.